Stillen

“Alle wissen Bescheid, wenn ich meine “Mami-Pause” mache”

In der Schweiz und Liechtenstein sind die meisten Mütter dazu gezwungen, rasch wieder in den Beruf zurück zu kehren. Weder Gesetzgeber noch Wirtschaft haben bisher erkannt, dass der Zeitpunkt des Berufs-Wiedereinstiegs mitten in die wichtige (Voll-)Stillzeit fällt. Weiterstillen und Milch abpumpen bei der Arbeit, das ist nicht immer einfach. Aber machbar. Für Judith hatte das Stillen, trotz anspruchsvoller Stelle und vielen Sitzungen, immer Priorität. Sie zeigt, wie sich Stillen und Arbeiten verbinden lässt.

“Ich wollte alles auf mich zukommen lasen”

Video: Jasmin Brandt Films / https://www.jasminbrandt.com/

Judith arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews 65% mit einer Präsenz-Zeit von 3 vollen Tagen als stellvertretende Geschäftsführerin einer Vermögensverwaltungsgesellschaft in Vaduz. Nebenberuflich erledigt sie noch Vorstandsarbeiten und hat ein Verwaltungsratsmandat bei der AHV-IV-FAK. Diese Nebentätigkeiten betragen, je nach Monat und Arbeitsanfall, zusammen ca. 5% zusätzlich.

Ihre Tochter wird im März ein Jahr alt und wird noch viel gestillt. Sie besucht an zwei Tagen die Kita. Dort, wie auch beim Vater zuhause, erhält sie in Abwesenheit ihrer Mama ausschliesslich (abgepumpte) Muttermilch. Ich habe Judith Anfang Jahr näher dazu befragt, wie sie sich organisiert.

Stillen und Arbeiten – so klappt es…

Nestwärme: Judith, hast Du Dir vor der Geburt Gedanken darüber gemacht, ob Du nach dem Wiedereinstieg in den Beruf weiterstillen wirst?
Nein, überhaupt nicht. Ich wollte bewusst alles auf mich zukommen lassen. Nur die gesetzliche Grundlage hatte ich bereits geprüft bzw. kannte ich von stillenden Mitarbeiterinnen, welche ich bei mir im Team hatte.

Wann wurde es für Dich zum ersten Mal ein Thema?
Ich konnte von Anfang an meine Tochter voll stillen und es klappte sehr gut, auch mit dem schon baldigen Abpumpen (nach den ersten 6-8 Wochen). Da war mir dann klar, dass ich sicherlich 6 Monate voll stillen möchte und nach 4-5 Monaten war mir auch klar: so schnell höre ich nicht damit auf. 😊

Bild: Jasmin Brandt

Wie hast Du Dich darüber informiert, wie das mit dem Stillen bzw. Abpumpen bei der Arbeit funktionieren könnte, vor allem organisatorisch?
Ich hatte nach ca. 3.5 Monaten eine erste kurze Arbeitssitzung in Vaduz von knapp zwei Stunden. Diese liess ich nicht verschieben, aber das war auch in Ordnung. Da musste ich mich zum ersten Mal richtig organisieren – also mit vor Ort Abpumpen (mit Milch-Pumpe, einer Stillpause während der Sitzung usw.).

“Sein lassen kann man es dann immer noch…”

Danach habe ich die Mutterschaftszeit wieder genossen und zum richtigen, vollen Arbeitsbeginn im Oktober habe ich mich natürlich entsprechend ausgerüstet mit einer guten Pumpe, Kühl-Akkus, genug Flaschen für den Transport etc. und entsprechend alle informiert (mein Umfeld; mein Team, Arbeitgeber etc.).

Ich wollte es auf jeden Fall versuchen mit dem Stillen und Arbeiten. Sein lassen kann man es dann immer noch, wenn es doch nicht klappt oder es zu aufwendig wird. Und bisher klappt es ja sehr gut, wir stillen praktisch noch voll und ich arbeite schon seit vier Monaten wieder.

Hast Du eine Stillberaterin konsultiert?
Nein, für den Arbeitsstart nicht.

Stillen in der Kita

Du hast das grosse Glück, keine 5 Minuten von der Kita entfernt zu arbeiten und fährst nun mittags jeweils zum Stillen hin. Anfangs warst Du nicht sicher, ob das eine gute Idee ist, was hältst Du mittlerweile davon?
Es bedarf einer gewissen Organisation und Koordination, vor allem auch im Team und bezüglich Sitzungen u/o Telefonkonferenzen, da ich eigentlich von 11.30 bis 13.30 Uhr auf den Anruf der Kita warte. Dies lässt sich aber organisieren, wenn man vorab gut plant und den Tag selber etwas mehr koordiniert. Es gibt ja eigentlich immer Zeiten ohne Sitzungen oder sonst habe ich die Sitzung mit dem Anruf der Kita für mich beendet. Die Traktanden, welche mich betreffen, legen wir einfach auf die Sitzungs-Zeit, während der ich sicherlich noch anwesend bin.

Die Kita war diesbezüglich auch immer sehr zuvorkommend?
Ja, ich konnte mich voll darauf verlassen, dass Sie mich rechtzeitig anrufen. Für die Kita ist es von Vorteil, wenn ich komme. So sparen sie eine Flaschen-Mahlzeit ein. Der Kontakt mit meiner Tochter in der Fremdbetreuung, jetzt wo sie noch so klein ist, tut ihr und mir sehr gut. Also quasi: Win-Win-Win. Mittelfristig wird sie immer mehr vom Tisch essen, und das Stillen über Mittag wird entfallen.

Das ist aber auch gut so, denn über kurz oder lang wäre ein zweifacher Abschied von Mama für meine Tochter dann sicherlich nicht einfach. Aktuell überwiegt der Nutzen des Stillens für sie aber sicherlich noch. Mal sehen, wie lange wir das noch machen, ich denke, dass ich darauf bald verzichten werde oder muss, zumindest sagt mir das mein Bauchgefühl.

Bild: Jasmin Brandt

(Anm. v. Nestwärme: das ist heute in der Tat so. Die Kleine hat mittlerweile ein Alter erreicht, in dem sie sehr aktiv ist und gut eingebunden in den Tages-Ablauf der Kita, wie z.B. Singkreis, Mittagstisch. Die Still-Pause mit Mama würde die Kleine da “herausreissen”. Sie war zuletzt fast zu abgelenkt, um in Ruhe und genug zu stillen. Auch für die Mama ist es jetzt eine Erleichterung und sie kann mittags auch einmal an ein Geschäftsessen o.ä.)

Stillen und Arbeiten: Milch abpumpen am Arbeitsplatz

Wie gestaltest Du die Stillzeiten an den Arbeitstagen?
Ich stille sie zuhause noch, bringe sie dann in die Kita. Dort biete ich ihr die Brust nochmals an. Meistens möchte sie aber nicht mehr, da sie lieber gleich zum Spielen geht und/oder zu den anderen Kindern. Im Büro pumpe ich dann am Vormittag 1x ab und am Nachmittag 1x.

Mittags bekommt sie die Mama-Brust. Ich pumpe eigentlich immer dann ab, wenn sie eine Flasche bekommt – so konnte ich die Milchmenge bis heute aufrecht erhalten. Ich habe aber auch fast nie nicht abgepumpt; darauf hab ich diszipliniert geachtet – auch wenn es mit der Zeit nicht nötig gewesen wäre.

“Vor Arbeitsbeginn habe ich zuhause einen Notfallvorrat angelegt.”

Du hast also eher zu viel Muttermilch gesammelt oder reicht es manchmal nicht ganz, so dass Du auch an den freien Tagen abpumpen musst?
Ich pumpe die Menge ab, die sie für den nächsten Tag braucht. Wenn ich zu viel abpumpe, erhöhe ich die Nachfrage und dann hab ich an den anderen Tagen «zu viel» Milch. Natürlich habe ich vor Arbeitsbeginn einen Notfallvorrat zuhause im Tiefkühler angelegt. Für den Fall, dass ich einmal nicht gut pumpen und/oder ich kurzfristig einmal nicht bei ihr sein könnte.

Stillen und Beikost-Start

Wie gestaltest Du das Abpumpen im Büro und fällt es Dir leicht?
Da ich ein Einzel-Büro habe, lässt es sich gut organisieren. Alle wissen dann auch, dass Judith ihre «Mami-Pause» hat. So nennen wir das offiziell, wenn ich mich dorthin verziehe. Auch wenn ich in einer Sitzung bin und ich diese für 10 Minuten verlasse, muss ich mich nicht lange erklären und alle wissen Bescheid.

Waren sowohl Kita als auch Arbeitgeber von Anfang an offen für das Abpumpen/Stillen?
Sehr! Vor allem die Kita kommt mir entgegen und ist sehr flexibel, was meine Anwesenheit betrifft vor Ort. Und wie bereits erwähnt rufen mich die Erzieherinnen oft früh genug an, so dass ich in Ruhe zum Stillen kommen kann. Das schätze ich sehr.

“Sie soll und darf selber entscheiden, wie viel und was sie essen möchte.”

Bild: Jasmin Brandt

Deine Tochter ist schon 10 Monate alt. Wie viel Beikost nimmt sie zu sich?
Relativ wenig, wir praktizieren BLW, sprich sie entscheidet, ob und wie viel sie essen will und nimmt und isst selbständig. Wir füttern sie nicht. Aktuell stillen wir aber noch sehr viel, da ihr das Essen vor allem Spass macht, aber noch keine Mahlzeiten ersetzt hat. Das ist für mich aber so in Ordnung. Sie soll und darf entscheiden, wie viel und was sie möchte. Brei haben wir, bewusst, nie gegeben. Aber es heisst ja “food under one is just for fun”.

Du musstest nie Pulvermilch geben?
Nein, bisher noch kein einziges Mal. Ich bin froh, dass es so gut klappt mit dem Pumpen.

Hoffst Du schon darauf, dass das Abpumpen irgendwann ganz entfällt und wirst Du dann trotzdem noch weiter stillen oder hast Du Dir eine Limite gesetzt?
Ich habe mir keine Limite gesetzt. Aktuell tut es uns beiden sehr gut und sie ist ja erst 10 Monate alt. Klar, es gibt Phasen, in denen es kompliziert und auch mal stressig ist, weil ich immer alles dabeihaben muss (Pumpe, Kühl-Akkus, genug Milch zuhause etc.). Und ich kann auch nicht einfach «wegbleiben», ohne das Pump- und Milch-Management zu beachten. Aber der Nutzen für sie und mich überwiegt deutlich.

“Mit dem Stillen kann man abends und in der Nacht viel Nähe “kompensieren””

Was ist Dein Rat an andere Mütter, die gerne das Stillen und Arbeiten verbinden möchten?
Versucht es unbedingt! Es kann wirklich sehr gut klappen. Klar, es kommt auch darauf an, wie das Kind die Flasche akzeptiert, aber ein Versuch ist es wert. Wechseln auf Pulver-Milch kann man immer noch, wenn das Abpumpen nicht klappt und/oder doch zu aufwendig ist oder schlecht integrierbar. Ich denke, gerade wenn man tagsüber nicht beim Kind sein kann, kann man mit dem Stillen abends und in der Nacht viel Nähe «kompensieren». Das würde ihr und mir sonst sicherlich fehlen, jetzt wo sie noch so klein ist.

Vielen Dank für Deine Offenheit zum Thema Stillen und Arbeiten, liebe Judith! 

Hast Du weitere Fragen zum Thema Stillen und Arbeiten oder Abpumpen am Arbeitsplatz? Dann trete gerne unserer Facebook-Gruppe bei! 🙂

Tamara Beck

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