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Windelfrei-Erfahrungsbericht von Nele

Nele ist 28 Jahre alt und hat zwei Söhne im Alter von fast drei Jahren und 5 Monaten (Juni 2015 und Dezember 2017). Mit ihrem Jüngsten hat sie etwa 6 Wochen nach der Geburt angefangen, windelfrei zu praktizieren, was sehr gut funktioniert. Berichten wird sie uns aber von ihrem älteren Sohn…

“Heute soll es mal nicht um meinen kleinen Spatz gehen, sondern um meinen kleinen, grossen Töpfchenhelden. Auch mein erster Sohn ist irgendwie „windelfrei“ aufgewachsen und ist mittlerweile auch im klassischen Sinne trocken, aber den Weg dahin haben wir nur über einige Umwege gefunden. Von unserem späten, schleichenden Windelfrei-Start, irgendwann zwischen 6 und 14 Monaten, möchte ich euch hier berichten:
Während meiner ersten Schwangerschaft gab es wohl kaum einen Baby-Ratgeber, den ich nicht einmal in der Hand hatte (wie viel Zeit man da noch hatte … ) und so hatte es auch Ingrid Bauers „Es geht auch ohne Windeln“ auf meinen Lesestapel geschafft. Ich war völlig fasziniert von der Thematik, aber die Skepsis war doch zunächst zu gross. Die Idee, bereits mit einem Neugeborenen über seine Ausscheidungsbedürfnisse zu kommunizieren erschien mir – und vor allem meinem Mann – viel zu esoterisch; um nicht zu sagen verrückt. Und ich glaube vielen geht es so, wenn sie das erste Mal mit „Windelfrei“ in Berührung kommen. Und so wickelten wir unser kleines Wunder nach seiner Geburt zunächst ganz herkömmlich mit Wegwerfwindeln.

“Jetzt macht er gleich Pipi…”

Als er ungefähr vier Monate alt war, wurde es mittags und abends zum Teil unserer Zu-Bett-geh-Routine, ihn in seinem gut beheizten Zimmer eine Weile splitternackt spielen zu lassen. Dabei kam es natürlich immer wieder zu kleinen Pfützen und das eine oder andere Mal auch zu grösseren Sauereien ?. Wir nahmen diese „Unfälle“ aber locker und liessen ihn trotzdem ohne Windel weitermachen. Nach und nach bemerkten wir so, dass er charakteristische Verhaltensweisen zeigte, immer 2-5 Sekunden bevor er pieselte. Typisch war z.B. dass er in seinen Bewegungen innehielt und sich für einen Moment zu konzentrieren schien. Als er etwa sechs Monate alt war passierte es häufig, dass ich zu meinem Mann sagte: „Jetzt macht er gleich Pipi“ – gefolgt von einem kleinen Springbrunnen. Das fanden wir ganz spannend und lustig, aber ihn dabei über die Toilette o.ä. zu halten ist uns trotzdem zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Traum eingefallen. Ich kann gar nicht mehr nachvollziehen, warum.

Unseren windelfrei-Durchbruch hatten wir dann zunächst mit dem grossen Geschäft, das in der zweiten Hälfte seines ersten Lebensjahres schon eine für uns erstaunliche Regelmässigkeit hatte. Über Wochen spielte sich nämlich allmorgendlich das gleiche Spiel ab: Nach dem Aufwachen bekam er eine frische Windel und keine 5 Minuten später war diese randvoll und das Kind musste wieder gewickelt werden. Zum einen war die so sofort verbrauchte Windel ärgerlich und zum anderen war das Windelnwechseln zu diesem Zeitpunkt für Eltern wie Kind schon zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit geworden, die wir minimieren wollten– wer will schon gerne still auf dem Rücken liegen bleiben, wenn man doch die Welt entdecken möchte?

Thematisieren anstatt ignorieren

Und so gingen wir dazu über, ihn morgens bilderbuchlesend aufs Töpfchen zu setzen, was uns fast täglich einen ersten Erfolg brachte. Jetzt trauten wir uns nach und nach, ihn auch in anderen Standardsituationen aufs Töpfchen zu setzen, etwa nach dem Mittagessen oder nach dem Mittagsschlaf. Ohne es so richtig zu bemerken und ohne jemals den Entschluss „wir praktizieren jetzt windelfrei“ zu fassen, fingen wir also an, einige Prinzipien von windelfrei umzusetzen, weil sie uns einfach logisch erschienen. Ich gewöhnte mich z.B. daran, zu reagieren, wenn ich merkte, dass er was in die Windel drückte und es mit ihm zu thematisieren, anstatt zu ignorieren. Trotzdem blieb er bis auf die Momente, in denen er auf dem Töpfchen sass, zunächst immer in der Windel.

Den nächsten Schritt wagten wir dann erst kurz nach seinem ersten Geburtstag, als wir ihn zu Hause meistens ganz ohne Windel sein liessen und ihn auch unterwegs abhielten – mit einem für uns total überraschendem Erfolg: Unten ohne schien er sehr viel besser zu merken, was da in seinem Körper passierte und parallel zu seiner verbalen Entwicklung lernte er seine Bedürfnisse immer besser mitzuteilen und gleichzeitig lernten wir sein Timing und seine Körpersprache immer besser zu verstehen. Diese drei Elemente führten dazu, dass wir in diesem Alter schon ganze Tage ohne „Unfälle“ verbringen konnten. Ganz unglaublich bei einem Anderthalbjährigen, oder? Zu diesem Zeitpunkt fing unser Umfeld an zu bemerken, dass wir ihn ermutigten, sein Geschäft auf dem Töpfchen zu verrichten, und hat leider zum grössten Teil sehr negativ darauf reagiert. Es erschien den meisten eben wirklich als unglaublich. Man sah uns als Spinner an oder (und das fand ich schlimmer) als überehrgeizig und druckausübend. Besonders von anderen Müttern habe ich mir einiges anhören müssen, vor allem dann, wenn der kleine Kerl doch mal wieder mit nasser Hose da stand. Gleichzeitig war es nämlich nicht immer einfach, ein entdeckungshungriges Kleinkind für das auf dem Töpfchen sitzen zu begeistern…

Anderes war gerade spannender

Die Zeit zwischen 1,5 und 2,5 Jahren war stets ein windelfreimässiges Auf- und Ab. Wir hatten schon früh euphorische Phasen, in denen er fast „trocken“ war, und dann wieder Wochen, in denen wir literweise Pfützen aufwischten. Das grosse Geschäft landete zwar mit ganz ganz wenigen Ausnahmen immer im Töpfchen, aber das mit dem Pipi, stellte sich als sehr viel Unfall-anfälliger heraus. Immer wieder zeigte er ganz klar die Bereitschaft und die Fähigkeit, uns rechtzeitig Bescheid zu geben, schien jedoch oft einfach nicht zu wollen, weil anderes einfach spannender war – was dann ja auch in Ordnung war. Seit seinem zweiten Geburtstag ging es dann aber sehr schnell und kurz danach war er vollständig dazu in der Lage, längere Zeiten einzuhalten und uns auch sprachlich rechtzeitig Bescheid zu geben, wenn er mal musste, und jetzt, mit fast drei Jahren, ist für uns die Windelphase vollständig abgeschlossen. Zugegeben war er damit jetzt nicht viel schneller als manche Altersgenossen. Aber darum geht es bei „windelfrei“ ja auch nicht. Das ist (wenn überhaupt) ein netter Nebeneffekt.

Wenn ich heute meinen „Späteinsteiger“ mit meinem windelfreien Baby vergleiche, gibt es bestimmt einige Unterschiede, aber die Theorie, dass Babys schnell aufhören, ihre Ausscheidungsbedürfnisse zu signalisieren, wenn man sie in Windeln steckt, kann ich nicht bestätigen. Obwohl wir ihn am Anfang immer in den bösen Wegwerfwindeln hatten, hat er nie aufgehört, uns die charakteristischen Signale zu zeigen. Mit sechs Monaten waren sie noch da, mit zwölf Monaten waren sie da, und selbst nach fast drei Jahren sind einige charakteristische Bewegungen und Gesichtsausdrücke nicht verschwunden. Dennoch glaube ich, dass unser später Windelfrei-Start dazu geführt hat, dass es ihm überhaupt nichts ausgemacht hat, es auch einfach mal laufen zu lassen. Die Hemmung sich selbst zu beschmutzen, die ich bei unserem Baby gerade sehr stark beobachte, ist bei ihm irgendwann verschwunden und kehrt erst jetzt langsam zurück. Wir waren mit ihm sicher nicht in dem Masse „erfolgreich“, wie man es mit einem Kind sein kann, welches ab Geburt „windelfrei“ ist. Trotzdem bin ich sehr glücklich darüber, dass wir uns noch spät dafür entschieden haben, so oft es ging, auf Windeln zu verzichten und kann das jedem nur empfehlen. Wir haben diesen Teil des Lebens unseres Kindes mit ihm liebevoll kommunizieren können, anstatt so zu tun, als ob nicht passiert und dann über dem Wickeltisch die Nase zu rümpfen. Ich bin davon überzeugt, dass wir ihm dadurch schon früh ein gutes Körpergefühl vermitteln konnten. Wir sind (naja, fast) immer locker und unverkrampft geblieben, hatten alle Spass bei der Sache und ich konnte es meinem Kind ersparen in einer tragbaren Toilette herumzulaufen. Der Gedanke ist nämlich ganz schön ekelig, wenn man erst einmal anfängt, umzudenken.

Keinen Druck ausüben, keine Wunder erwarten

Alle, die mit dem Gedanken spielen, mit ihrem Kind jenseits der ersten sechs oder auch zwölf Lebensmonate oder auch später noch, mit Windelfrei anzufangen, kann ich nur dazu ermutigen! Solange ihr keinen Druck auf euer Kind ausübt, können dabei alle nur gewinnen. Anfangen verhält man sich am besten genau so, wie mit einem Neugeborenen auch: a) Erlaubt eurem Kind, viel nackig zu sein, damit es selbst und auch ihr sofort merkt, was passiert und wie es passiert. b) orientiert euch zunächst an Standardsituationen, in denen es sehr wahrscheinlich ist, dass das Kind Pipi oder Kacka macht und tastet euch von da an weiter an das Thema heran, soweit wie ihr euch damit wohl fühlt. Stresst euch nicht, erwartet keine Wunder und geht mit Freude und Humor an die Sache! Dann kann man gar nichts falsch machen.

Die richtige Kleidung kann das windelfreie-Leben mit Baby und Kleinkind sehr vereinfachen. Als Nähsucht-Befallene gründete Nele 2017 „Pipifax“ gegründet, ein kleines Modelabel für bunte, fröhliche und vorallem praktische Windelfrei-Kleidung. Schaut doch mal rein. Auch auf Instagram kann man ihre Werke bewundern. 

Liebe Nele, vielen Dank für Deinen ausführlichen und spannenden Erfahrungsbericht! Ich hoffe er kann viele dazu anregen, das Experiment “windelfrei” auch mit einem Kleinkind noch zu starten.

Fotos: zVg von Nele

 

 

 

 

 

 

Tamara Beck

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