“Habt Mut und macht es für Euer Baby”

Jessi Thürling mit Sohn

Heute dürfen wir einen tollen und umfassenden Windelfrei-Erfahrungsbericht von Jessi Thürling teilen. Sie erklärt wunderbar, wie sie und ihr Mann auf Windelfrei gestossen sind, wie sie damit begonnen haben und wie es sich über die ersten Monate bis zum 1. Jahr entwickelt hat – spannend und sicher für viele aufschlussreich und motivierend. Viel Spass beim Lesen! 🙂

Ende April 2017 schlief mein 3-4 Wochen alter Sohn Janne gerade auf mir, als ich ein bisschen auf verschiedenen Internetseiten stöberte. Ich weiss gar nicht, wie ich darauf gestossen bin, ob es eine Newsletter E-Mail irgendeines Babyclubs war oder durch Facebook, jedenfalls las ich zum ersten Mal von Windelfrei und Abhalten. Es klang so natürlich, so normal und so selbstverständlich. Noch dazu wussten wir vom ersten Tag an, wann der kleine „gross“ in die Windel machte. Ich erzählte gleich darauf alles meinem Mann, der fand es irgendwie auch gut, er hatte zuvor auch noch nie davon gehört. Er stimmte mir aber zu, wie doof es sei, seinem Kind im Gesicht anzusehen wenn es gerade in die Windel macht und dabei nicht zu „helfen“. Nun war auch endlich klar, warum er immer musste und machte sobald er gewickelt wurde.

Wie haben wir also begonnen?

Er war gut 4-5 Wochen alt, der Urlaub meines Mannes war vorbei und mir ging es langsam wieder besser. So haben wir mit dem grossen Geschäft angefangen. Damals musste er meistens morgens bzw. sind wir immer  gleich ins Kinderzimmer getigert wenn er diesen bestimmten Blick drauf hatte – zur Seite kucken und einen spitzen Mund machen, als würde er pfeifen (das Zeichen war nach 6-7 Wochen leider weg, dafür pupste er meist bevor er musste und wartete darauf, von uns abgehalten zu werden). Wir haben uns auf den Boden gesetzt, wo sich eine Wickelunterlage und eine Schüssel befanden (das war ein 4er Set Plastikschüsseln, was sich später als eine der meistgenutzten aber billigsten Anschaffungen herausstellte :D). So konnten wir ihn an unserem Bauch anlehnen, die Schüssel zwischen die Beine klemmen und er konnte loslegen. Er wusste auch gleich von Anfang an, was zu tun war und fing an, brauchte aber immer eine Weile bis er fertig war. Für uns ein klares Zeichen, dass Babys darauf warten, befreit und abgehalten zu werden. So klappte es nun täglich, wenn mein Mann Zuhause war, übernahm er es und wenn er arbeitete, ich. Bis zu 3x am Tag, die Windeln hielten fast nur noch Pipi auf.

Windelexplosion nach Kurzurlaub

Einen Monat später verreisten wir für vier Tage, da wollte er partout nicht in die Schüssel machen und wartete wohl wieder darauf, nach Hause zu kommen (Heimscheisser schon mit 8 Wochen? 😀)
Naja, den Rückweg werde ich wohl nie vergessen. Wir machten Rast, assen etwas, er lag bei meinem Mann auf dem Schoss und von jetzt auf gleich landeten die vier Tage Warten in der Windel. Das war die erste und letzte Windel die bei uns komplett explodiert ist!

Ein weiterer Monat verging. Wir wechselten nun von der Schüssel am Boden zum Hocker vor der Toilette… Position war für ihn dieselbe, nur war es für uns angenehmer und sein Gewicht konnte man besser auf Händen und Beinen halten. (Mit ca. 7 Monaten kam das Töpfchen, er sass da immer sehr stolz drauf und es wurde viel leichter für uns.)

Pipi – von Standardsituationen zu intuitivem Abhalten

Da das nun so gut klappte, wollte ich es nun auch beim Pipi machen versuchen (er war ca. 3 Monate alt). Da fand ich es schwieriger, zu starten. Untenrum nackt lassen, um etwaige Zeichen zu erkennen, war doof, irgendwie wurde er immer schnell kalt an den Beinen. Ich hab es ein paarmal probiert, konnte aber keine wirklichen Zeichen entdecken. Ich weiss nicht, ob ich länger beobachten hätte müssen, wir versuchten es trotzdem in „Standardsituationen“ und dann schauten wir einfach, wie lange es ca. dauerte bis er wieder musste. Damals konnten wir ihn nach `ner 3/4 Stunde wieder abhalten, sonst wurde die Windel nass – Schlafenszeiten und längere Spaziergänge in Tuch oder Trage ausgenommen.

Wir probierten ein bisschen rum… Irgendwie klappte es dann intuitiv. Wir schauten nicht auf die Uhr, sondern dachten, er muss mal und wenn wir dann zur Uhr schauten, dachten wir “oh ja könnte wirklich sein” und es klappte. Haben wir dann doch noch gewartet, wurde die Windel nass (ist heute noch so). Neben der reinen Intuition kommt er auch manchmal an und quengelt, das deuten wir oftmals richtig und halten ihn dann ab, manchmal denken wir aber auch er quengelt weil er gern auf den Arm möchte (gerade wenn man selbst mal kurz mit Hausarbeit beschäftigt ist) Ist dann hinterher die Hose nass, wissen wir, dass wir es falsch gedeutet haben.

Der Wechsel zu Stoffwindeln

So. Jetzt stand ich vor dem Problem mit den Windeln. Zu schade, sie weg zu schmeissen, wenn mal ein Tröpfchen Pipi drin war, aber anziehen wollten wir sie auch nicht mehr. Für „Langzeitgebrauch“ waren diese Wegwerfwindeln auch nicht geschaffen, durch mehrmaliges An- und Ausziehen waren sie abends kaputt. Also tauchte ich ab in den Stoffwindel-Dschungel und wir stellten kurze Zeit später darauf um. Es klappte nun so toll, dass wir an vielen Tagen keine Windel gebraucht hätten, einige Tage 1-3 Windeln, aber manchmal gab es auch Tage, an denen fast jede Windel nass wurde.
Ich habe dann auch früh angefangen, nachts abzuhalten. Anfangs vor dem Stillen, irgendwann musste er aber nicht mehr so oft Pipi wie er gestillt werden wollte. Nachts hat er mir klare Zeichen gegeben. Früher hat er auf dem Rücken liegend immer die Beine nach oben gestreckt, ich habe ihn im Bett dann über einer Schüssel abgehalten. Später, als er beweglicher wurde und noch heute, dreht er sich auf den Bauch und richtet sich auf wenn er muss. Mit 7 Monaten haben wir die Windel nachts ganz weggelassen (War mir auch viel zu fummelig, so konnte ich ihn schneller wieder stillen und weiterschlafen). Es klappt! Seither erfreuen wir uns ständig an dem kleinen Po, der luftig in einer Schlafhose oder unter einem längeren Shirt verpackt ist.

Mit 9 Monaten liessen wir die Windeln komplett weg

Junge von hinten mit Kopf auf dem Boden, der zwischen seine Beine schaut Tagsüber war es sehr durchmischt. Wenn wir mit der Trage unterwegs waren, hab ich die Windel einfach weggelassen. Das klappte gut, ansonsten hat er tagsüber immer eine angehabt. Ich habe dann nach Weihnachten das Buch “Windelfrei – So geht‘s” von Lini Lindmayer gelesen. Hat mir nicht wirklich viel gebracht, aber es machte mir Mut, die Windeln – er war nun 9 Monate alt – ganz wegzulassen.
Er trägt ganz normale Unterhosen und darüber eine Hose. Ich habe auch schon Splitpants und ein paar andere Abhaltehosen selber genäht, meist bleibt es aber bei einer normalen Hose. Da er schon stehen kann, geht das auch schnell mit Runter- und wieder Hochziehen. Unterhemden hatte ich schon vor längerer Zeit in Grösse 92 gekauft. Als er Größe 74 hatte, waren die noch sehr lang, aber er wächst immer besser rein und auch die Unterhöschen haben diese Grösse. Anfangs noch etwas locker, sitzen sie jetzt doch recht gut.

Manchmal sind Abhalten und das Töpfchen für ihn doof

Nun ist er ein Jahr alt. Nachts klappt es nach wie vor super. Beim grossen Geschäft ist es jedoch etwas schwieriger geworden. Oft denken wir, es wäre Zeit und setzen ihn aufs Töpfchen. Manchmal sieht man es einfach. Zum Beispiel beim Essen: er konzentriert sich plötzlich und starrt einfach nur in eine Richtung. Oder beim Spielen wird er plötzlich ruhig und unterbricht sein Spiel, dann ziehen wir ihm schnell die Hose aus und setzen ihn aufs Töpfchen, dies lässt er dann auch zu.

Auf Pipi hat er oft keine Lust, Abhalten und Töpfchen scheinen doof zu sein. Naja, wenn wir wissen, dass er Pipi muss (wir haben fast immer recht), versuchen wir es. Wenn ein Ort nicht klappt, probieren wir noch einen anderen und reden ihm gut zu. So klappt es dann oft doch noch, ob überm Waschbecken, auf dem Töpfchen, einer Schüssel, der Wäscheschüssel oder der Toilette. Wenn er abgelenkt ist oder am Spielen, klappt es weniger. Unterwegs, auf Ausflügen und wenn wir Besuch haben, lässt er sich problemlos abhalten. Nur alleine zuhause ist es nicht so einfach momentan. Aber wir haben genug Hosen und einen Fliesenboden. In der Regel kommen wir mit 1-3 Hosen pro Tag aus. Andere schleppen dicke Wickeltaschen mit sich rum, wir 1-2 Ersatzhosen.

Notfalls wird ein Putzlappen rausgeholt

Zur Zeit bekommt er morgens oft für 2 Stunden eine Windel an, weil er da im 30-Minuten-Takt laufen lässt und wir nicht immer hinterherkommen, vor allem wenn wir nebenbei noch Sachen erledigen. So gegen 10-11 Uhr kommt sie dann ab (Bzw. nach dem Kinderturnen, weil ich nicht möchte, dass da doch mal ein kleiner See in der Sporthalle landet. Leider ist die Gesellschaft da ja heute nicht mehr so offen, wenn mal was daneben geht und ich habe keine Lust auf Diskussionen).
Unsere Familie findet es toll, wie wir das machen (meine Mama hat uns auch früh in Standardsituationen aufs Töpfchen gesetzt und mit einem Jahr gab es tagsüber auch keine Windel mehr, bzw. nur in Ausnahmen). Mama und Schwester halten ihn auch gerne mal ab, Angst vor einem Unfall hat in der Familie keiner. Da wird notfalls ein Putzlappen rausgeholt und einmal kurz der Boden gewischt (ist erst zweimal passiert).

Vielen, denen ich davon erzählt habe, haben es noch nie gehört und finden es auch spannend oder toll, einige vergleichen es mit Töpfchentraining und halten nix davon… Letztendlich muss jeder selber wissen, was er mit seinem Kind macht, für die Babys wünsche ich mir aber ausser Luft und Licht am Popo, dass sie verstanden und ihre Bedürfnisse erfüllt werden.

Am besten gar nicht darüber nachdenken

Mein Mann und ich stehen voll und ganz hinter Windelfrei, und ich bin froh darüber. So lernt der Kleine ganz nebenbei, mit Mama oder Papa auf „Toilette“ zu gehen. Mein Mann hat genauso diese Intuition. Man muss nur darauf vertrauen und sich nicht verunsichern lassen. Und vor allem nicht drüber nachdenken. EINFACH den Tag leben und wenn das Gefühl kommt, handeln!

Ich finde es toll, von Windelfrei gelesen zu haben und denke, dass es unserem Kind „Freiheit“ schenkt. Ihr Bedürfnis, nicht ins „Nestchen“ zu machen, ist genauso vorhanden, wie das Bedürfnis nach Nahrung, Zuneigung und Schlaf. Bei uns gab es nie Bauchweh oder Koliken. Unser Sohn war immer ein entspanntes Baby. Es ist toll für die Haut und schön für alle, da wir nicht einen ganzen Hintern säubern müssen, sondern einfach „nur“ abwischen und ein Töpfchen auskippen/abspülen. Genauso weiss ich, dass ich mir keinen Stress machen darf, wenn mal gar nix klappt.

Daher finde ich es wichtig, folgende Dinge im Hinterkopf zu behalten:

  • ich kann mir jederzeit eine Stoffi aus dem Regal nehmen und mal eine Stunde „Pause“ machen und wenn er einen Tag lang nicht gut drauf ist, ihn einfach mal spielen lassen. Wenn er dann ankommt und quengelt, weil er sich abhalten lassen will, kann die Windel auch gern wieder ab.
  • Einige Tage sind frustrierende Rückfälle und man fragt sich, was man falsch macht. Diese Tage gilt es durchzuhalten, sie entsprechen nicht der Regel!

Was würde ich bei einem zweiten Kind anders machen?

Früher anfangen, Windel eher weglassen und eventuell abhalte-tauglichere Kleidung verwenden. Und das nackig liegen lassen und Kind beobachten muss nicht sein. Wenn es kühl ist, oder das Baby schnell auskühlt, einfach nur eine Hose anziehen, da sieht man genauso gut, wenn es Pipi macht. (Anmerkung von Nestwärme: Baby-Legs sind auch ein gute Wahl – so bleiben die Beinchen warm und der Po frei).

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Windelfrei in unseren Kulturkreisen wieder bekannter wird, dass man gemeinsam lachen kann, wenn mal ein Unfall passiert und nicht vom Grossteil der Bevölkerung komisch angeschaut wird… Mamis und Eltern habt Mut! Macht es für Euer Baby. Es klingt nach Arbeit, ist es vielleicht manchmal auch, aber es zahlt sich aus und zwar nicht erst, wenn der erste Durchfall da ist.

Vielen Dank, liebe Jessi, für Deinen ausführlichen und sehr anschaulichen Bericht! Genau so ist es, es zahlt sich aus, und zwar spätestens dann, wenn das Kind längst trocken ist, während andere noch monate- oder sogar jahrelang Windeln wechseln müssen weil ihr Kind das Gespür für seine Ausscheidungen und das Loslassen erst wieder lernen muss. Es gibt zwar Kinder, die von sich aus mit 2-3 Jahren deutlich sagen, dass sie keine Windel mehr brauchen, was natürlich toll ist, aber es gibt leider auch solche, die bis zum Kindergarteneintritt kaum davon wegzubringen sind. Kein Wunder: man hat es ihnen ja genau so beigebracht… 

Bilder: zVg von Jessi Thürling

Möchtet Ihr weitere Erfahrungsberichte lesen? Dann lest gerne hier weiter… oder kontaktiert mich wenn Ihr Euren ganz persönlichen Bericht gerne erzählen würdet 🙂

Comments · 2

  1. Wie schön einen Bericht von Jessi hier zu lesen.
    Wir haben im November 2018 zusammen die Ausbildung zum Windelfrei-Coach beim Artgerecht-Projekt gemacht.

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